Schuldgefühle

    Schuldgefühle

    :!: TRIGGERWARNUNG - Thema Suizid :!:

    Als ich den Song "Die Sonne scheint" das erste Mal gehört habe, saß ich im Fernbus. Ich konnte die Tränen schon beim ersten Refrain nicht mehr zurückhalten. Und das, obwohl ich meine Gefühle eigentlich immer ganz gut im Griff habe und nur selten in der Öffentlichkeit zeige. Doch der Song hat eine Wunde aufgerissen. Ich kann nicht sagen, dass sie bereits verheilt war, ich habe sie eigentlich nur lange ignoriert.

    Vor etwa 10 Monaten habe ich einen wichtigen Menschen durch Suizid verloren. Der Schmerz, den ich empfand als die Nachricht mich erreichte, habe ich in einer kleinen Geschichte versucht zu verarbeiten. Ich traue mich nicht diesen Text mit meiner Familien oder mit engen Freunden zu teilen, da ich nicht möchte, dass sie sich Sorgen um mich machen und ich Angst habe, dass meine Gefühle als unnötig abgetan werden könnten. Auch hier fällt es mir nicht leicht, aber ich habe das Gefühl ihn mit euch teilen zu können ohne Angst vor Verurteilung oder Unverständnis haben zu müssen.

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    Die Perspektive der Schuld


    Wir sprachen über das Leben, den Tod, Zukunftsperspektiven und der Suche nach dem Sinn. Er hörte aufmerksam zu, lachte und ließ seinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf. Es fühlte sich so an, als hätte ich ihn dazu gebracht umzudenken. Als ob alles wieder gut werden würde.

    Ich hatte die Nacht damit verbracht mich drüber zu informieren, wie man Menschen mit Suizidgedanken helfen kann und mir vorgenommen ihn am Tag darauf anzurufen.

    Am nächsten Abend realisierte ich mit Schmerzen, dass ich es nicht getan hatte. Der Tag war so ausgelastet und arbeitsreich, ich hatte kaum Zeit nachzudenken. Sollte ich von diesem warmen, bequemen Bett aufstehen und ihn anrufen oder sollte ich einfach morgen mit ihm sprechen?
    Ich blieb im Bett.

    Es ist 7:11 Uhr, mein Handy blinkt und vibriert neben mir im Bett. Als ich abnehme, höre ich nichts. Dann schluchzt sie meinen Namen. Es ist ein beängstigendes Geräusch, noch nie hatte jemand meinen Namen so ausgesprochen. Das Adrenalin macht mich hellwach, ein Stick in der Brust nimmt mir den Atem. Als sie anfängt zu sprechen wird mir schnell klar, dass ich überhaupt nicht zuhören will. Ich halte das Handy weit weg von meinem Ohr und schreie, dass sie still sein soll. Ich brülle sie solle es mir nicht erzählen, denn solange ich die Wahrheit nicht höre, kann ich noch etwas länger in dieser Welt existieren. In der Welt, in der es ihm gut geht.

    Sie erzählt mir, er habe sich heute Morgen erhängt. Voller Entsetzen wird mir klar, dass ich ihn gestern hätte anrufen sollen. Aber das hatte ich nicht getan. Er hatte mich gewarnt. Die Schuldgefühle ersticken mich. Sie sind dunkel und unaussprechlich. Ich dachte, ich hätte mehr Zeit. Die Schuld fühlt sich an wie eine dunkle Hand, die sich einen Weg hinunter in meinen Rachen bahnt und meinen Körper mit Dunkelheit füllt. Sie sagt immer und immer wieder dasselbe: "Du hättest anrufen soll."

    Die Vorstellung seines Körpers, wie er an einem Ast baumelt, dreht mir den Magen um. Ich möchte wissen wie lange es dauerte, bis er das Bewusstsein verlor, ob es weh tat und wie er es gemacht hat. Ich verbringe Stunden in Suizid-Foren.

    Dann weine ich. Ich weine so, wie man weint, wenn man alleine ist und die Trauer so viel größer erscheint als man selbst.

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    Seit einigen Wochen sind sie wieder da, die Schuldgefühle. Ich hatte es lange geschafft sie zu verdrängen, jetzt holen sie mich wieder ein. Ich kann mir noch so oft sagen, dass ich nicht Schuld bin....es fühlt sich anders an.

    Ich weiß, es ist schwierig mir hier zu helfen, da ich das wahrscheinlich nur selbst kann. Aber vielleicht gibt es ja unter euch jemanden, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat und sich mit mir austauschen möchte. Ich wäre sehr dankbar für eine Stimme aus einer anderen Perspektive als die der Schuld.

    <3 <3 <3
    Hey,
    ich kann verstehen, dass sich Schuldgefühl quälen...dennoch darfst du dir nicht die Schuld daran geben! Ich weiß das klingt abgedroschen, aber mich quälten auch oft diese Gefühl, als sich eine gute Freundin umgebracht hat. Ich habe nen Tag davor noch mit ihr telefoniert und wir wollten bald was unternehmen. Heute könnte ich mir in Arsch beißen, dass ich nicht einfach zu ihr gefahren bin. Habe mir auch echt viele Gedanke darüber gemacht und es war und ist auch immer noch schwer für mich. Die Schuldgefühle werden wahrscheinlich nie ganz verschwinden, aber weißt du was mir geholfen hat? Ich habe alles einfach in einem Brief an meine Freundin niedergeschrieben! Das war irgendwie erleichternd für mich. Danach habe ich draußen den Brief verbrannt, sozusagen, dass die Funken usw nach oben zu ihr fliegen. Du könntest den Brief ja auch an sein Grab legen oder irgendwo vergraben oder ähnliches. Das hat mir unglaublich geholfen. Ich habe sozusagen nochmal alles aufschreiben können. Vielleicht probierst du das auch mal aus und es hilft dir! Mach dich bitte nicht zu sehr fertig deswegen, du warst ihm bestimmt eine ganz tolle Freundin für die Zeit die er hier bei uns war! :) Fühl dich gedrückt!
    Hey Romi,
    Es ist grausam in so jungen Jahren einen ebenso jungen Menschen zu verlieren. Ich kenne das leider auch.
    Und ich verstehe, aus welchen Gründen du dir Vorwürfe machst. Ich habe eine ähnliche Situation erlebt. Ich habe mir damals auch sehr große Vorwürfe gemacht und mir über Jahre eingeredet, dass ich an dem Tod meiner Freundin mitverantwortlich gewesen sei. Aber das war ich nicht. Und du bist es auch nicht..!
    Ich habe gelernt, den Suizid als das zu betrachten, was er letztlich ist: Das letzte und stärkste Symptom einer Krankheit. So trocken und Scheiße das auch klingen mag. Aber es ist eben diese Krankheit gewesen und nicht du oder ich.
    Ich finde es wichtig, dass man sich in dieser Situation bewusst machen sollte, wie viel man der Person all die Zeit gegeben hat, die man verbracht hat. Sich bewusst machen, wie viel Freude man zusammen hatte und wieviel Vertrauen man sich gegenseitig geschenkt hat. Sich die positiven Dinge vor Augen halten. Ich denke, dass es auch bestimmt das gewesen wäre, was er sich gewünscht hätte. Er würde doch sicher nicht wollen, dass du dich seinetwegen schlecht fühlst..

    Die Idee mit dem Brief kann ich auch absolut empfehlen. Ich hatte auch einen Brief geschrieben und ihn an einem bedeutsamen Ort verbrannt. Das hat mir sehr geholfen.

    Gerne! Lass dir Zeit und probier es einfach aus, ob es dir hilft. Wie gesagt, für mich war es echt erleichternd. Klar, wird man immer wieder mal von seinen Gefühlen übermannt (oder überfraut :) ), aber das ist, denke ich, recht normal, wenn man einen lieben Menschen durch Suizid verloren hat. Das gehört einfach zum Trauerprozess dazu. Denke an die schönen Zeiten, die ihr zwei zusammen hattet. Vielleicht hilft dir auch darüber zu reden. Du schreibst zwar, dass du das deinen Verwandten oder engen Freunden nicht sagen möchtest, aber vielleicht hilft es dir mit jemand ganz Fremden darüber zu reden. Es ist nicht schlimm, wenn man sich nach so etwas irgendwo professionelle Hilfe sucht. Bevor es dich zu sehr auffrisst.

    Oder wie sieht es mit seiner Familie aus? Kennst du sie? Vielleicht hilft dir auch, mit ihenen darüber zu reden. Wahrscheinlich geht es ihnen ähnlich wie dir, sie plagen Schuldgefühle. Möglicherweise kostet es dich zu viel Überwindung mit der Familie von ihm zu reden, ich kenne das. Ich konnte Anfangs nicht mit der Mutter und Schwester meiner Freundin reden, konnte ihnen nicht in die Augen schauen, eben wegen dieser Schuldgefühle. Ich dachte, sie geben ihren Freunden auch Schuld daran. Aber dem war nicht so. Als ich mich überwunden habe, mit ihnen zu sprechen, merkte ich, wie dankbar sie waren, dass sie so gute Freunde hatte. Sie gaben niemanden von uns die Schuld. Nicht du oder wir sind Schuld am Suizid, sondern eine fiese Krankheit.
    Wenn du die Kraft und Worte findest, diesen Brief zu schreiben, kannst du dich gerne nochmal melden! Ob es dir auch geholfen hat. Liebe Grüße

    Jan schrieb:

    Hey Romi,
    Es ist grausam in so jungen Jahren einen ebenso jungen Menschen zu verlieren. Ich kenne das leider auch.
    Und ich verstehe, aus welchen Gründen du dir Vorwürfe machst. Ich habe eine ähnliche Situation erlebt. Ich habe mir damals auch sehr große Vorwürfe gemacht und mir über Jahre eingeredet, dass ich an dem Tod meiner Freundin mitverantwortlich gewesen sei. Aber das war ich nicht. Und du bist es auch nicht..!
    Ich habe gelernt, den Suizid als das zu betrachten, was er letztlich ist: Das letzte und stärkste Symptom einer Krankheit. So trocken und Scheiße das auch klingen mag. Aber es ist eben diese Krankheit gewesen und nicht du oder ich.
    Ich finde es wichtig, dass man sich in dieser Situation bewusst machen sollte, wie viel man der Person all die Zeit gegeben hat, die man verbracht hat. Sich bewusst machen, wie viel Freude man zusammen hatte und wieviel Vertrauen man sich gegenseitig geschenkt hat. Sich die positiven Dinge vor Augen halten. Ich denke, dass es auch bestimmt das gewesen wäre, was er sich gewünscht hätte. Er würde doch sicher nicht wollen, dass du dich seinetwegen schlecht fühlst..

    Die Idee mit dem Brief kann ich auch absolut empfehlen. Ich hatte auch einen Brief geschrieben und ihn an einem bedeutsamen Ort verbrannt. Das hat mir sehr geholfen.


    Danke, Jan. Es tut mir leid, dass du das auch erfahren musstest. Du hast Recht, wahrscheinlich sollte ich das ganze mal von außen und ein bisschen trockener betrachten. Noch fällt mir das etwas schwer, aber ich weiß was du meinst. Ich habe gerade angefangen Erinnerungen an ihn zu sammeln und aufzuschreiben. Es kostet mich Überwindung, aber es lässt mich das ganze nochmal von einer anderen Perspektive sehen. So wird mir tatsächlich allmählich klar, wie viel Positives wir gemeinsam erlebt haben. Danke, dass du mich daran erinnert hast. Ich hatte ganz vergessen, dass dieses letzte Ereignis nicht unsere Freundschaft definiert, sondern das was davor war.

    Anonyma schrieb:

    Gerne! Lass dir Zeit und probier es einfach aus, ob es dir hilft. Wie gesagt, für mich war es echt erleichternd. Klar, wird man immer wieder mal von seinen Gefühlen übermannt (oder überfraut :) ), aber das ist, denke ich, recht normal, wenn man einen lieben Menschen durch Suizid verloren hat. Das gehört einfach zum Trauerprozess dazu. Denke an die schönen Zeiten, die ihr zwei zusammen hattet. Vielleicht hilft dir auch darüber zu reden. Du schreibst zwar, dass du das deinen Verwandten oder engen Freunden nicht sagen möchtest, aber vielleicht hilft es dir mit jemand ganz Fremden darüber zu reden. Es ist nicht schlimm, wenn man sich nach so etwas irgendwo professionelle Hilfe sucht. Bevor es dich zu sehr auffrisst.

    Oder wie sieht es mit seiner Familie aus? Kennst du sie? Vielleicht hilft dir auch, mit ihenen darüber zu reden. Wahrscheinlich geht es ihnen ähnlich wie dir, sie plagen Schuldgefühle. Möglicherweise kostet es dich zu viel Überwindung mit der Familie von ihm zu reden, ich kenne das. Ich konnte Anfangs nicht mit der Mutter und Schwester meiner Freundin reden, konnte ihnen nicht in die Augen schauen, eben wegen dieser Schuldgefühle. Ich dachte, sie geben ihren Freunden auch Schuld daran. Aber dem war nicht so. Als ich mich überwunden habe, mit ihnen zu sprechen, merkte ich, wie dankbar sie waren, dass sie so gute Freunde hatte. Sie gaben niemanden von uns die Schuld. Nicht du oder wir sind Schuld am Suizid, sondern eine fiese Krankheit.
    Wenn du die Kraft und Worte findest, diesen Brief zu schreiben, kannst du dich gerne nochmal melden! Ob es dir auch geholfen hat. Liebe Grüße


    Es hilft mir sehr die ganzen positiven Erlebnisse, die wir zusammen hatten, aufzuschreiben. Es ist hart, aber es fließen auch Tränen der Freude.

    Seine Schwester hat nach seinem Tod Kontakt zu mir aufgenommen und wir kommunizieren seither regelmäßig. Wenn alles gut läuft, kommt sie mich schon bald besuchen. Ich habe etwas Angst davor, freue mich aber auch Geschichten mit ihr zu teilen. Auch sie kämpft mit Schuldgefühlen, da sie seine Krankheit immer belächelt hatte und ihr nicht bewusst war, wie schlecht es wirklich um seine Gesundheit stand. Das hat er nicht so gesehen, er hat sie abgöttisch geliebt und immer von ihr gesprochen. Ich hoffe wir können uns da gegenseitig etwas helfen und unterstützen.

    Gerne halte ich dich darüber auf dem Laufenden. Mich mit euch beiden auszutauschen tut mir sehr gut. Danke.
    Ja das hat mir auch geholfen! An die positiven und glücklichen Momente zu denken. Es fließen zwar immer Tränen, aber es hilft ungemein.

    Das ist doch schön, das hört sich super an! Dann könnt ihr euch gegenseitig Kraft geben und unterstützen. Es wird bestimmt für euch beide hart und sie hat sicherlich auch Angst davor, aber es wird euch bestimmt gut tun!

    Das kannst du gerne machen :)