In diesen Zeiten kann man einfach keine belanglose Musik machen!“, sagt Swiss, Frontmann von Swiss + Die Andern.

„Wir wehren uns und stehen auf der Seite von Edward Snowden und den Whistleblowern, Wikileaks, Anonymus, Occupy, Attac und all den anderen, die diese ungerechte Welt verändern wollen.“

Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt 50 Prozent des globalen Wohlstands; die Temperatur auf der Erde steigt, Wüsten und Meere breiten sich aus, Menschen müssen vor Dürre und Hochwasser fliehen; Kriege und Terror verursachen Millionen von Flüchtlingen; die fortschreitende Digitalisierung ist zu einem Kontrollinstrument der Mächtigen verkommen – Tatsachen wie diese lassen Swiss & Die Andern ihr zweites Album „Missglückte Welt“ nennen.

Was auf internationaler Ebene misslingt, nimmt seinen Anfang auf der nationalen und persönlichen Ebene. Alle drei Ebenen hat Swiss mit dem neuen Werk im Auge, wenn er für eine „Gegenkultur“ plädiert. Der Sänger und Texter aus dem Hamburger Schanzenviertel weiß dabei, dass Politik und Kunst sich nicht trennen lassen. Das erfuhren Swiss & Die Andern 2014 am eigenen Leib. In ihrem Video zu „Schwarz Rot Braun“ (von der gleichnamigen EP) ging eine Deutschlandflagge in Flammen auf. Prompt wurde Swiss wegen Volksverhetzung angezeigt. Ein Urteil steht noch aus.

2015 veröffentlichten Swiss & Die Andern ihr Albumdebüt „Große Freiheit“, dem nun „Missglückte Welt“ folgt. Das neue Album umfasst dreizehn brandneue Songs, die durch glühende Wut und treibende Rhythmik bestechen, inspiriert von Bands wie Rage Against The Machine und System Of A Down. Der Sound dieser musikalischen Straßenkämpfer ist laut, dreckig und wutgeladen. “Missglückte Welt” ist voller rotziger Hymnen von der Strasse und aus dem Leben, die bestens in die Zeit passen.

Das zeigte sich auch auf der nahezu ausverkauften Tour von Swiss & Die Andern im Herbst 2015. In Scharen strömten ihre Fans – auch Zickzackkinder genannt – in die Konzerte. Viele von ihnen haben sich das MW Logo für „Missglückte Welt“ in die Haut tätowieren lassen. Fotos dieser Bekenntnisse sind im Booklet des neuen Albums zu sehen. Für die Zickzackkinder mag die Welt unvollendet sein, ein guter Grund für eine rauschende Party ist das freilich allemal. Die Anhänger von Swiss & Die Andern sind in „Sippschaften“ organisiert, ihr Erkennungsmerkmal sind Sippschafts-Jacken, MW-Tattos und die Abkehr von den Idealen einer Gesellschaft, die viel verspricht und wenig hält.

Swiss wuchs in Hamburg-Altona als Sohn eines Schweizer Schauspielers (daher sein Künstlername) und einer deutschen Theatermacherin auf. Bühne und Film waren schon immer Teil seines Lebens und so überrascht es nicht, das Swiss eine Rolle im Kinofilm „Tiger Girl“ erhielt, der vom Erfolgsteam um den visionären Filmemacher und Regisseur Jakob Lass aktuell gedreht wird.

Schon früh interessierte sich Swiss für Musik und verschlang Bücher. So erlangte er die Wortgewalt, die sich durch seine flammenden Texte zieht. Für „Gangster vom Asylheim“ nimmt er die Rechten und Neo-Nazis aufs Korn, die landauf landab Angst und Schrecken verbreiten. In „Insel im Paradies“ macht er sich über Spießer lustig, die im Urlaub an fernen Pauschal-Touri-Stränden preiswert den dicken Max markieren. In „Wir sind die Nacht“ geht es um das Unverständnis der Masse für die Missglückten dieser Welt. Auch mit dem Cover „Rauch-Haus-Song“ erinnert die Band an die wildromantischen Politrocker Ton Steine Scherben, die diese kämpferische Hymne 1971 über eins der ersten besetzten Berliner Häuser verfasst hatten. Kein Wunder, dass Swiss & Die Andern sich als „Kinder von Ton Steine Scherben“ bezeichnen, wie sie in ihrem Manifest „Pogo“ singen.

Rio Reiser, der nach seiner Zeit bei Ton Steine Scherben als Solist weiter machte, ist ein wichtiger Einfluss für Swiss und seine „Missglückte Welt“. In der Utopie „Morgenland“ nimmt der Hamburger Frontmann Bezug auf Reisers Ballade „Zauberland“, doch bei Swiss ist „Zauberland nicht abgebrannt“ – wie Rio singt – vielmehr geht es ihm um den Kampf für ein besseres Morgen.

Einige Parts von „Der Kopf der Gertraud Bräuer“ stammen aus der Feder einer Hamburger Liedermacherin mit dem Künstlernamen „Die Hofkomponistin“. Der Song behandelt das traurige Schicksal eines der Opfer des Serienmörders Fritz Honka, der die Friseurin und Gelegenheitsprostituierte 1970 erschlug. Sie wurde von niemandem vermisst, ihre Leiche fand man zufällig, als der Dachstuhl eines Hauses brannte, in dem Honka den zersägten Kadaver versteckte. Missglückte Welt pur.

Doch Swiss & Die Andern haben auch eine empfindsame Seite, die sie in den wenigen sanfteren Liedern zeigen. In „Perfekte Imperfektion“ versichert der Mann am Mikro, dass seine große Liebe keineswegs vollkommen sein muss, im Gegenteil, gerade das Nichtperfekte zieht ihn an. Doch der Mensch muss auch für sich selbst Respekt und Zuneigung empfinden. Selbsthass und eigene Überforderung sind ebenfalls Teile der Missglückten Welt. Das ist das Thema des Titels „Irgendwann“. So lebt Swiss in der Hoffnung, „dass der Tag kommen wird, an dem ich es schaffe, mich zu lieben wie ich bin.“